Neuerscheinung: Die Harmonie der Welt. Oper in fünf Aufzügen (1956/57)
Paul Hindemith. Sämtliche Werke - Serie I: Bühnenwerke
Band I,10: Die Harmonie der Welt. Oper in fünf Aufzügen (1956/57)
herausgegeben von Giselher Schubert im Auftrag der Fondation Hindemith, Blonay
Mainz: Schott Music
Band I,10-A: 2021
Band I,10-B: 2021
Band I,10-C: 2022
Die Harmonie der Welt bildet den Abschluss von Hindemiths Trias der sogenannten „Künstler-Opern“. In seiner Einleitung schreibt Herausgeber Giselher Schubert dazu:
In der dreiaktigen Oper Cardillac op. 39 (1925/26; Libretto: Ferdinand Lion) rückte Hindemith einen selbstbezogenen, rücksichtslos-verbrecherisch handelnden „Kunsthandwerker“ ohne Moral, den genialischen Goldschmied Cardillac nach E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scudéri, in das Zentrum einer geradezu kriminalistisch-spannenden Handlung, der die Käufer seiner Schmuckstücken, von denen er sich nicht trennen kann, ermordet; der Maler Mathis, den Hindemith nach der historischen Figur des Matthias Grünewald (Mathis Gothart-Nithart, gen. Grünewald, 1475/80 – 1528) in der Oper in sieben Bildern Mathis der Maler (1933-35; Libretto: Paul Hindemith) gestaltete, erfährt sein politisch-gesellschaftlich unmittelbar eingreifendes, als ethisch-moralisch verpflichtend empfundenes Handeln als einen Verrat seines einzigartigen genuinen (künstlerischen) Vermögens, das ihm wohl zurückgegeben wird, ihn aber die „Melancholie des Vermögens“ spüren lässt; und in der Kepler-Oper in fünf Aufzügen Die Harmonie der Welt (Libretto: Paul Hindemith) hält an der Schwelle zur Neuzeit der mit seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen epochal wirkende Astronom, Astrologe, Philosoph, Naturwissenschaftler und Mathematiker Johannes Kepler (1571 – 1630) an der Vorstellung einer ideellen „Harmonie der Welt“ fest, die nach seiner Überzeugung unzweifelhaft das Universum regiert, jedoch im aufreibenden politisch-gesellschaftlichen Getriebe nicht zu finden ist, wie er sich, nach Hindemiths Darstellung, im endgültigen Scheitern selber eingestehen muss. In der „Linie“ dieser zentralen (Bühnen-) Werke repräsentiert Hindemiths Kepler-Oper nicht nur sein Hauptwerk aus den 1950er Jahren, sondern sie erweist sich auch als das Werk, in welchem er seine musikästhetischen, musiktheoretischen, geschichtsphilosophischen und poetologischen Überzeugungen, zu denen er in langen, wendungsvollen, doch zugleich auch kontinuierlichen Entwicklungsprozessen gelangt war, direkt oder indirekt in fast schon jeder Hinsicht kompositorisch zusammenfasst, sie ethisch-ästhetischen einbindet und überhöht. Die Abfolge dieser Bühnenwerke bestätigt eindrucksvoll die geistige Kontinuität der hindemithschen Entwicklung. Er fühlte sich denn auch geradezu verpflichtet, dieses Werk entgegen allen inneren und äußeren, sich über nahezu zwanzig Jahre hinziehenden Hemmnissen auszuarbeiten und abzuschließen. Der immer wieder hinausgeschobene Kepler wird also doch eines Tages das Licht der Welt erblicken. Daß ers nicht schon längst getan hat, ist […] einmal durch die ständige Hoffnung auf größere Reife, Kenntnis und Gestaltungskraft des Autors zu erklären, andererseits durch den einen Fluch des Erdenlebens bildenden ständigen Zeitmangel vertröstete Hindemith in einem Brief vom 20. Januar 1947 an den Schott-Verlag, der ihn wieder einmal an das Kepler-Sujet erinnerte. Bereits Ende der 1930er Jahre, als er ernsthaft diesen Opernstoff zu erwägen begann, schwebte ihm eine Mischung von kleinem Privatleben, größtem Weltereignis (Reichstag, 30jähriger Krieg) und kosmischen Dinge (astronomische Allegorie) vor: Hoffentlich kann ich das so zustandebringen, wie ich es im Kopfe habe. Zeit brauchte ich dazu und weiterhin einige Ruhe – hoffentlich bleibt sie mir. (Brief an den Schott-Verlag, 25.9.1939) Und im Januar 1940, als er vom Schweizerischen Exil in Bluche (Wallis) aus seine Emigration in die Vereinigten Staaten vorbereitete, gab er sogar, ungewöhnlich genug, auch Einblicke in Inspirationsquellen für seinen Opernplan: Der zu bewältigende Stoff ist ungeheuer groß, allein die historischen Geschehnisse zwischen 1601 und 1630 verlangen eine gründliche Beschäftigung; und selbst wenn man rein ‚stimmungsmäßig‘ in die Materie einwachsen will, braucht man Zeit. Für den Entwurf eines solchen Stoffes spielt auch diese emotionelle Anregung (wenigstens für mich) eine große Rolle, die ständige Betrachtung unseres sternübersäten Berghimmels z.B. befördert das Wachsen des Plans ebenso wie Bücher und Studien. Der geistige Inhalt des Stückes […] soll sich um die Suche nach Harmonie in allen Welt- und Lebensdingen drehen und um die Einsamkeit desjenigen, der sie findet. (Brief an Hans Boettcher, 10.1.1940)