Dieter Rexroth und sein Wirken für Hindemith
Aus Anlass seines Todes
von Giselher Schubert
Dieter Rexroth, der 1969 über Arnold Schönberg als Theoretiker der tonalen Harmonik in Bonn promovierte, stieß 1972 zur wenige Jahre zuvor, 1968, gegründeten Hindemith-Stiftung: nach zwischenzeitlich journalistischen Arbeiten für die Frankfurter Rundschau, den Bonner Generalanzeiger und die Neue Zürcher Zeitung, für verschiedene Rundfunkanstalten und mit einem ursprünglich als Habilitations-Stipendium der Thyssen-Stiftung unternommenen Arbeit über Wagners Gesangsstil. Diese Doppelgleisigkeit – einerseits seriöses musikwissenschaftliches Arbeiten, andererseits journalistisches Kommentieren des Musiklebens – behielt er auch bei, als ihm die Hindemith-Stiftung die Leitung des Hindemith-Instituts in Frankfurt am Main anvertraute und ihm großzügige Gestaltungsmöglichkeiten einräumte und ermöglichte. Er betreute im Institut wissenschaftliche Publikationen wie das Hindemith-Jahrbuch, von dem er 1972 bis 1987 15 Jahrgänge vorlegte, und die Schriftenreihe des Institutes Frankfurter Studien mit Bänden über Hindemiths Schaffen in den Zwanziger Jahren sowie zum Aspekt des Nationalen in Neuer Musik. Er organisierte aufwändige Hindemith-Veranstaltungen mit Konzerten und Symposien in Zusammenarbeit mit namhaften Institutionen wie dem „Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit“ Nordrhein-Westfalen, der Münchner Musikhochschule, dem Mozarteum Salzburg, den Berliner Festwochen oder dem Leningrader Konservatorium, veranstaltete eine Instituts-Konzertreihe in Frankfurt am Main zumeist mit Nachwuchs-Musikern, die er dazu brachte, besonders auch vernachlässigte Werke oder Neue Musik einzustudieren und aufzuführen – unvergessen etwa Konzerte mit einer Aufführung der beiden Klaviersonaten von Charles Ives oder mit Streichquartetten von Gloria Coates – und betreute Kursprogramme im Musikzentrum der Hindemith-Stiftung in Blonay mit Musikern wie Bruno Giuranna, Saschko Gawriloff, Rainer Kussmaul, Alois Kontarsky, Siegfried Palm, Thomas Brandis und vielen anderen. Dabei gelang es ihm, nachhaltig das Interesse der Musiker für Hindemith zu stimulieren. Ihm gelang es, dass auch Komponisten wie Hans Otte, Tilo Medek, Peter Michael Hamel, Manfred Trojahn oder Wolfgang Rihm Beiträge im Hindemith-Jahrbuch mit ihren Hindemith-Bezügen publizierten, dessen Musik ihnen sonst eher fremd geblieben war. Er publizierte auch 1982 erstmals eine Auswahl aus Hindemiths Briefen und beteiligte sich 1988 an der Erarbeitung einer üppigen Hindemith-Monografie mit zahlreichen Dokumenten aus Hindemiths Nachlass, die er auch grafisch gestaltete.
Aber daneben vernachlässigte Rexroth keinesfalls eigene Interessen und Vorlieben, zu denen vor allem Musik von Mozart, Beethoven, Wagner und Mahler zählte, und publizierte, nach einer Edition der 9. Symphonie von Beethoven, etwa eine Beethoven-Monografie (1982) und zuletzt noch eine Einführung in Beethovens Symphonien (2005) oder wirkte als Dramaturg bei einer Inszenierung des Fidelio in Bonn mit, die Gottfried Wagner betreute.
Mit allen diesen erfolgreichen, ja mitunter spektakulären Aktivitäten versicherten sich andere Institutionen gerne der Rexrothschen Mitarbeit. Bereits seit 1980 bis 1994 fungierte er als fester freier dramaturgischer Mitarbeiter der Alten Oper Frankfurt, leitete maßgeblich die „Frankfurt Feste“ und veranstaltete aufwändige Komponistenportraits von Messiaen, Rihm, Stockhausen, Kagel, Nono, Henze, Bussotti und Cage, die auch substantielle Buchpublikationen zeitigten. 1991 verließ er dann die Hindemith-Stiftung, organisierte die 1200Jahrfeier der Stadt Frankfurt, wirkte 1995/96 als Intendant in St. Pölten (Österreich), übernahm 1996 bis 2006 die Geschäftsführung, Intendanz und leitende Dramaturgie der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH Berlin und holte etwa in dieser Funktion Kent Nagano nach Berlin, dessen enger dramaturgischer Berater und Freund er wurde. Seit 2006 leitete er – neben seinem Engagement in zahlreichen weiteren Institutionen wie etwa dem Ensemble modern oder der Körber Stiftung Hamburg – für 10 Jahre die Kasseler Musiktage. Zu Hindemith äußerte er sich zuletzt 2013 in einem Vortrag im Frankfurter Römer zum 50jährigen Todestag über Paul Hindemith. Leben – Überleben – Nachleben (veröffentlicht im Hindemith-Jahrbuch 2014), in welchem er auch von seinen persönlichen Hindemith-Erlebnissen berichtete.
Nun ist Dieter Rexroth, der am 6. März 1941 in Dresden als Sohn eines Lungenfacharztes geboren wurde, in Lohr am Main aufwuchs, in Wien und vor allem Bonn Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie studierte, am 9. April 2024 in Berlin trotz gesundheitlicher Probleme relativ überraschend verstorben. In Erinnerung bleibt er seinen vielen Mitarbeitern und Freunden als wirklich umfassend gebildeter, äußerst kompetenter, unaufdringlich überzeugungsmächtiger, tatkräftig-zuverlässiger und geduldiger Partner mit sehr viel Gespür für das Zumutbare, Angemessene und besonders auch für Niveau und Qualität. Für die Pflege des hindemithschen Œuvres war er ein Glücksfall.
Fondation Hindemith
Tabea Zimmermann
François Margot
Christian Höppner
Laurenz Lütteken
Andreas Schober
Hindemith Institut Frankfurt
Susanne Schaal-Gotthardt
Luitgard Schader
Heinz-Jürgen Winkler