Ein Meilenstein der Filmgeschichte: Paul Hindemiths Musik zum Film "In Sturm und Eis" (1921)

Eine kürzlich aufgefundene Kopie des 1921 entstandenen Stummfilms Im Kampf mit dem Berg (I. Teil: In Sturm und Eis) von Arnold Fanck bietet zusammen mit Hindemiths dazugehöriger Filmmusik neue Einblicke in die Geschichte des Stummfilms.
Im Sommer 1921 kam es zu einer folgenreichen Begegnung zwischen Paul Hindemith und dem Bergfilmpionier Arnold Fanck (1889-1974). Hindemith hatte erst wenige Wochen zuvor mit der Uraufführung seiner Operneinakter Mörder, Hoffnung der Frauen und Das Nusch-Nuschi in Stuttgart erstmals überregionale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Arnold Fanck arbeitete gerade an der Endmontage seines Bergfilms Im Kampf mit dem Berg (I. Teil: In Sturm und Eis). Dieser sollte der erste Teil einer Bergfilmtrilogie werden, die allerdings nie vollendet wurde. Bei den Dreharbeiten zu dem Film, der die Besteigung des rund 4500m hohen Lyskamm in den Walliser Alpen dokumentiert, war erstmals eine Kamera im Hochgebirge eingesetzt worden.
Arnold Fancks Erinnerungen zufolge war Hindemith, der für einige Wochen bei ihm in Freiburg zu Gast war, von seiner Montagearbeit fasziniert: „Was Sie da machen, ist reine Musik“, soll er bemerkt haben. Spontan entschloss er sich zur Komposition einer Filmmusik für Salonorchester und hatte innerhalb weniger Wochen eine umfangreiche Partitur für einen Film von 87 Minuten Länge fertiggestellt. Die Komposition ist eines der frühesten Dokumente für originale Filmmusik zu einem Stummfilm. Wahrscheinlich wurde sie jedoch niemals zusammen mit dem Film aufgeführt. Bei der Premiere am 22. September 1921 in Berlin lehnte der Filmmusikdirigent Willy Schmidt-Gentner Hindemiths Partitur mit der Begründung ab, sein Orchester könne die Musik nicht einstudieren, und bevorzugte die damals übliche eigene Zusammenstellung von Stücken.
Hindemiths autographe Partitur hat sich in seinem Nachlass unbeschadet und vollständig erhalten. Der Film verlor dagegen schon in den 1920er Jahren seine originale Gestalt und wurde mehrfach durch Kürzungen, Umschnitte und neue Zwischentitel verändert. Vor kurzem wurde im Filmarchiv Austria eine eingefärbte (viragierte) Nitrokopie identifiziert, die länger als die beiden bislang bekannten Kopien aus dem Moskauer Filmarchiv Gosfilmofond sowie dem Bundesarchiv – Filmarchiv Berlin ist und fast alle originalen Zwischentitel aufweist. Auf der Basis von Hindemiths Partitur ließ sich aus diesem Material die verschollene Urfassung fast vollständig rekonstruieren.
Am 10. Mai 2013 wird die rekonstruierte Fassung des Films im hr-Sendesaal zu sehen sein. Unter der Leitung von Frank Strobel spielt das hr-Sinfonieorchester Paul Hindemiths Originalmusik.
Susanne Schaal-Gotthardt