Ein Gespräch mit dem Filmdirigenten Frank Strobel
Frank Strobel ist einer der renommiertesten Dirigenten im Bereich der Filmmusik. Bis 1998 war er Chefdirigent des Filmorchesters Babelsberg. Im Jahr 2000 war er Mitbegründer der Europäischen Filmphilharmonie, die er seither leitet. Seit vielen Jahren berät er das Stummfilmprogramm von ZDF/Arte. In zahlreichen Filmmusikkonzerten setzt er sich für die Aufführung historischer Stummfilme und Originalpartituren ein.
Welche Ziele verfolgt die Europäische Filmphilharmonie?
Die Europäische Filmphilharmonie ist eine Konzert- und Produktionsgesellschaft, die sich der Verbreitung von Filmmusiken verschrieben hat. Sie recherchiert Originalmusiken und Neuvertonungen sowie restaurierte Filmkopien, die sie in einem Katalog mit inzwischen mehr als 100 Filmkonzerten und Filmmusikkonzerten zusammengestellt hat. Darüber hinaus entwickelt die Filmphilharmonie neue Filmkonzert-Formate bzw. -Programme und vermittelt Orchester, die besondere Erfahrungen auf dem Gebiet der Filmmusik aufweisen können, an Festivals, Konzerthäuser oder Opernbühnen.
Wie sind Sie zur Filmmusik gekommen?
Ich bin aufgewachsen in einem Umfeld, in dem der Film eine enorme Rolle spielte: Meine Eltern haben in München ein Kino betrieben, mein Vater ist einer der Begründer des Internationalen Filmfests in München, meine Mutter ist Filmjournalistin. Zugleich habe ich seit meiner Kindheit auch eine starke musikalische Prägung erfahren, denn meine Großmutter war Pianistin. Ich habe also schon früh ein Interesse an beiden Kunstformen entwickelt und hautnah erleben können, wie Film und Musik zusammenspielen.
Was reizt Sie an der Arbeit als Filmdirigent?
Filmmusik hat viele verschiedene Facetten, die mich als Dirigenten gleichermaßen faszinieren und anspornen. Zum einen findet sie zunehmend Eingang ins Repertoire von Sinfonieorchestern und hat sich inzwischen neben anderen Spezialisierungen wie Oper, Ballett oder Konzert als eine weitere Säule in der Programmarbeit von Orchestern etabliert. Zum anderen werden für aktuelle Filmproduktionen vermehrt wieder Orchesteraufnahmen nachgefragt. Und nicht zuletzt hat die Renaissance des Stummfilms in den letzten dreißig Jahren dazu geführt, dass auch der Aufführung von Originalmusik zum Film größere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Ich halte es für wichtig, dass diese Musik in ihrer spezifischen Funktionalität als Filmmusik ernst genommen und gewürdigt wird, auch wenn der Rang ihrer Komponisten nicht immer der eines Schostakowitsch, Prokofjew, Milhaud oder eben Hindemith ist. In jedem Fall gilt es, die technischen Besonderheiten von Filmmusik zu beherrschen, etwa die Synchronisation von Bildablauf und Musik.
Wie kam es zu Ihrer Beschäftigung mit dem Projekt Im Kampf mit dem Berg?
Sowohl der Film von Arnold Fanck als auch Hindemiths Musik zum Film waren uns – das sind Nina Goslar, Redakteurin der Stummfilmredaktion von ZDF/Arte, Anke Wilkening, Restauratorin bei der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, und ich – schon seit längerer Zeit bekannt. Im Kampf mit dem Berg kann mit Fug und Recht als Referenzwerk für die deutsche Kinogeschichte betrachtet werden, da es ein bedeutendes Dokument eines Stummfilms mit Originalmusik darstellt. Doch leider gestaltete sich die Zusammenführung von Film und Musik schwierig, weil die erhaltenen Filmkopien aus Moskau und dem Bundesarchiv sehr viel kürzer waren als Hindemiths autographe Partitur. Trotzdem haben wir mit dem Projekt begonnen und waren schon recht weit gekommen, als wir im letzten Jahr von dem Fund einer weiteren Kopie im Filmarchiv Austria überrascht wurden, die uns vor völlig neue Herausforderungen gestellt hat.
Was war das Besondere an dieser Kopie?
Sie ist zwar länger als die beiden uns bislang bekannten Kopien und enthält auch fast alle originalen Zwischentitel, doch entspricht die Abfolge der Filmbilder und Zwischentitel überhaupt nicht mehr der ursprünglichen Reihenfolge. Selbst innerhalb einzelner Szenen gehen die Einstellungen wild durcheinander.
Wie konnten Sie dieses Problem lösen?
Glücklicherweise sind in Hindemiths Partitur alle Zwischentitel und viele Minutenangaben verzeichnet. So konnten wir auf der Grundlage der Partitur die Bildabfolgen entsprechend rekonstruieren. Hinweise auf Bildinhalte gaben außerdem Gestik und Kompositionsstruktur der Musik. Und auch die unterschiedlichen Einfärbungen (Viragen) der Kopie halfen uns beim Sortieren. Natürlich haben wir berücksichtigt, welche Szenen- und Bildsequenzen und Schnittabfolgen uns in den überlieferten Fassungen vorliegen, haben also keine willkürlichen Eingriffe in das Material vorgenommen. Der ganze Prozess war außerordentlich komplex: Bisweilen haben wir stundenlange Diskussionen über drei oder vier Einstellungen geführt.
Inwieweit hat sich der Film durch die Rekonstruktion verändert?
In seiner rekonstruierten Fassung erhält der Film eine völlig neue Diktion. Die Moskauer Kopie hat den Charakter eines Kulturfilms, eines populärwissenschaftlichen Dokumentarfilms über die Hochalpen. In der Rekonstruktion wird das Dokumentarische zugunsten einer archaischen Dramatik zurückgedrängt, zu der Hindemiths expressive Musik in kongenialer Weise – und viel besser als zur Moskauer Fassung – passt. Wir erleben in der rekonstruierten Fassung gemeinsam mit der Musik einen völlig neuen Film.
Auch die neu aufgefundene Filmkopie ist kürzer als Hindemiths Musik. Wie lösen Sie dieses Problem?
Anfangs waren wir davon überzeugt, dass wir schwarze Stellen lassen müssen. Doch Hindemiths Komposition ist ja so angelegt, dass man das musikalische Material verkürzen oder verlängern kann, ohne dass musikalische Substanz verloren geht. Wir können also in dieser Weise in die Partitur eingreifen und damit ohne Schwarzbilder auskommen.
Mussten noch weitere Änderungen an der Musik vorgenommen werden?
Hindemith hat seine Partitur für die damals üblichen solistisch besetzten Filmorchester geschrieben. Gleichwohl fordert seine expressive Komposition eine große Besetzung geradezu heraus. Wir haben uns deshalb entschieden, die Streicher chorisch zu besetzen.
Was war nach der Rekonstruktion des Filmmaterials zu tun?
In Zusammenarbeit mit dem Schott-Verlag wird gerade Notenmaterial erstellt, in das die notwendigen Kürzungen und kleineren Retuschen eingearbeitet werden. Außerdem werden Synchronpunkte und exakte Tempobezeichnungen mit Metronomangaben angeführt. Dabei ist besonders präzise Arbeit nötig, weil sich die Hör- und Sehgewohnheiten verändert haben und mangelhafte Synchronität nicht mehr so leicht verziehen wird. Mit Dirigierpartitur und Orchesterstimmen wird in Kürze ein aufführungsfähiges Material vorliegen, das allgemein verfügbar ist. Darüber sind wir besonders froh, weil wir natürlich zum Hindemith Gedenkjahr anlässlich seines 50. Todestages am 28. Dezember fertig werden wollten.
Welche Pläne haben Sie selbst mit dem Projekt?
Am 10. Mai wird die Premiere mit dem hr-Sinfonieorchester in Frankfurt stattfinden. Diese Produktion wird im Dezember bei Arte ausgestrahlt; auch eine DVD ist geplant. Für die Europäische Filmphilharmonie wird Im Kampf mit dem Berg in den nächsten Monaten eines der wichtigsten Projekte sein, mit dem wir an die Intendanten herantreten.
Das Interview führte Susanne Schaal-Gotthardt.