Tabea Zimmermann
Hindemith: Complete Viola Works Vol. 1 Viola & Orchestra
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Hans Graf
Myrios Classics MYR010 (2013)
Hindemith komponierte seine Werke für Bratsche und Orchester für den eigenen Bedarf, um das im Vergleich zu anderen Soloinstrumenten spärliche Repertoire zu erweitern. Sein erstes Bratschen-Konzert, die Kammermusik Nr. 5 op. 36 Nr. 4, entstand 1927 und greift insbesondere im 1. Satz barocke Satzmerkmale auf, wie u.a. toccatenartige Motorik oder auf lineare Verknüpfung ausgerichtete Melodiebildungen. Die nahezu ständige Präsenz des Soloinstruments verlangt dem Solisten ein Höchstmaß an Ausdauer ab, ohne die das Stück kaum wirkungsvoll zur Geltung käme. Um es vorwegzunehmen: Tabea Zimmermanns Interpretationsansatz ist neu und im Ergebnis schlichtweg brillant. Hier wird nicht motorisch-monoton drauflos gefiedelt oder Virtuosentum zur Schau gestellt, sondern mit höchster technischer Souveränität äußerst phantasievoll und nuanciert gestaltet.
Sein Konzert Der Schwanendreher komponierte Hindemith 1935 in einer Zeit, als er von nationalsozialistischen Denunziationen attackiert und von der Nazi-Presse diffamiert wurde. Der sich als heimatloser Spielmann präsentierende Komponist / Solist breitet vor einer imaginären festlichen Gesellschaft seine auf alten deutschen Volksliedern beruhenden Weisen aus. Anders als in Werken seiner früheren Sturm-und-Drang-Jahre entwickelt Hindemith hier eine subtile Klangregie, die leise, fast intime Klangfarben hervorzaubert. Gerade dieses Nach-innen-Gerichtete hebt Tabea Zimmermann in kongenialem Zusammenspiel mit dem Orchester in bisher nie gehörter Weise hervor, indem sie mit sonorem und nuancenreichem Bratschenklang die melodischen Konturen zeichnet. Einen großen Bogen schlagend, präsentiert Zimmermann die von Hindemith extensiv verwendeten Volkslieder, so dass die durch die Liedtexte assoziierten Inhalte als Einheit organisch vermittelt werden. Wahrlich ein sein Schicksal reflektierender Spielmann!
Eine Ersteinspielung liegt vor mit der Konzertmusik op. 48 (1930) in ihrer frühen Fassung. Gerade in dem in der späteren Fassung weggelassenen 4. Satz beschwören die Künstler eine kammermusikalische Atmosphäre, die vom Dialog einzelner Instrumente mit der Bratsche geprägt ist. In diesen Passagen gelingt es den Interpreten, die Innerlichkeit dieser Musik zu kommunizieren. Wunderbar zurückhaltend und dennoch höchst ausdrucksvoll musiziert! Spielerisch-konzertant gehen Tabea Zimmermann und das DSO die schnelleren Sätze an und modellieren das Gegenüber von lyrisch-besinnlichen und virtuos-spielerischen Abschnitten heraus.
Ebenso intensiv interpretieren Tabea Zimmermann und Hans Graf die Trauermusik auf den Tod des englischen Königs George V. Dabei greift Hindemith den Tonfall der Grablegung aus der Mathis-Symphonie auf und lässt das Soloinstrument sowohl kammermusikalisch mit den Solo-Streichern musizieren als auch solistisch dem vollen Klangkörper gegenüber treten. Verklärend-mild erklingen die freien Solo-Umspielungen der Choralmelodie Vor deinen Thron tret' ich hiermit.
Gerade durch ihre kammermusikalische Spielweise gelingt es Tabea Zimmermann, die Tiefendimensionen dieser Hindemithschen Kompositionen subtil auszuloten.
Heinz-Jürgen Winkler