Interview mit Dr. Felix Meyer, dem Direktor der Paul Sacher Stiftung, Basel
Herr Dr. Meyer, vor wenigen Wochen hat die Paul Sacher Stiftung Basel publik gemacht, dass sie die musikbezogenen Dokumente aus der Autographensammlung des Basler Ökonomen Arthur Wilhelm als Depositum erhalten hat. Unter den zahlreichen Kostbarkeiten findet sich auch eine Handschrift, die die Hindemith-Forschung in Aufregung versetzt: die autographen Materialien zur Klaviermusik mit Orchester (Klavier: linke Hand) op. 29 aus dem Jahr 1923. Was können Sie uns über den Sammler Arthur Wilhelm erzählen?
Arthur Wilhelm (1899-1962) war ein ausgebildeter Nationalökonom, der 1922 zum Basler Pharma- und Chemieunternehmen Ciba kam. Dort hat er sich Schritt für Schritt hochgearbeitet, vom Italienkorrespondenten der Farbenabteilung bis zum Mitglied des Direktionskomitees und schließlich zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrats. Er starb ganz unerwartet im Februar 1962.
Was ist über seine Sammlertätigkeit bekannt?
Arthur Wilhelm muss sehr vielseitig interessiert, humanistisch gebildet und kunstsinnig gewesen sein. Über das Zustandekommen seiner Sammlung wissen wir derzeit nur sehr wenig. Die Nachfahren und heutigen Eigentümer sind aber mit der Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte beschäftigt. Immerhin kursiert die hübsche Geschichte, dass ihm einmal ein Autographenkonvolut von Klavierliedern eines berühmten Komponisten zum Kauf angeboten wurde. Bevor er den Kauf besiegelte, soll seine Gattin ihm die Lieder bei einem Hauskonzert vorgetragen haben, während er sie mit seinen Kindern im Original mitverfolgte. Erst danach habe er sich dazu entschieden, die Stücke zu kaufen. Man kann im übrigen davon ausgehen, dass Wilhelm seine Sammlertätigkeit etwa in den 1930er Jahren begonnen und sicher bis zu seinem Lebensende fortgesetzt hat.
Die Sammlung Wilhelm ist nicht die erste Privatsammlung, die nun in der Paul Sacher Stiftung verwahrt wird…
Neben der Privatsammlung Paul Sachers, die in das Sammelgut seiner Stiftung eingegangen ist, befinden sich einige weitere bedeutende Autographensammlungen in Basel. In den 1990er Jahren haben wir mit der Sammlung Rudolf Grumbacher erstmals eine Privatsammlung als Dauerleihgabe übernommen. Wir wollten ausprobieren, inwieweit es praktikabel ist, dass die Paul Sacher Stiftung eine Vermittlerfunktion zwischen dem öffentlichen Interesse an den kulturgeschichtlich bedeutenden Dokumenten einerseits und der Privatsphäre der Sammler andererseits übernimmt. Heute können wir sagen, es hat sich bewährt, dass die Dokumente der Sammlung Rudolf Grumbacher auf diesem Wege der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können.
Wie ist die Paul Sacher Stiftung Basel in Kontakt mit den heutigen Eigentümern der Sammlung Wilhelm gekommen?
Bei einer Ausstellung, die 1975 im Kunstmuseum Basel stattfand, wurden Musikhandschriften aus den Kollektionen Sacher, Wilhelm und Floersheim gezeigt. Dies ermöglichte gewisse Einblicke in die Bestände dieser Sammler. So konnten wir beispielsweise in Erfahrung bringen, dass sich in der Sammlung Arthur Wilhelm eine wichtige Quelle zum Streichtrio von Anton Webern befindet. In der Paul Sacher Stiftung wiederum wird der größte Teil der erhaltenen Webern-Quellen aufbewahrt. Nachdem vor einigen Jahren am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel in Kooperation mit unserer Institution das Projekt einer Anton-Webern-Gesamtausgabe lanciert worden war, nahmen wir Kontakt mit den Eigentümern der Sammlung auf, um dieses bis dahin nicht wissenschaftlich beschriebene Manuskript bei der Editionsarbeit berücksichtigen zu können. Aus dieser Kontaktaufnahme hat sich schließlich die Vereinbarung zur jetzigen Dauerleihgabe entwickelt.
Welche Handschriften enthält die Sammlung außer Webern und Hindemith?
Da ist zum Beispiel das Klaviertrio Es-Dur von Franz Schubert, von Johannes Brahms das Klaviertrio H-Dur op. 8, von Frédéric Chopin die Polonaise-Fantaisie op. 61, außerdem Handschriften von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Gioachino Rossini, Franz Liszt und Hugo Wolf. Auch einige bedeutende Quellen zur Musik des 20. Jahrhunderts befinden sich in der Sammlung: von Arnold Schönberg etwa das komplette Material zur Suite im alten Stil, vor allem aber auch eine Skizze zu den Orchesterstücken op. 16, die seit Anfang der 1920er Jahre als verschollen galt. Von Strawinsky gibt es Skizzen zum Ballett Pétrouchka (1910) sowie die Hauptquellen zu Perséphone (1934).
Susanne Schaal-Gotthardt