
Baugeschichte
Der Kuhhirtenturm, das östlich daran anschließende Torgebäude und das westlich gelegene Stück Stadtmauer gehören zu den wenigen noch erhaltenen Resten der denkmalgeschützten, mittelalterlichen Stadtbefestigung von Frankfurt-Sachsenhausen. Der Gebäudekomplex galt bisher als ein Bauwerk vom Ende des 15. Jahrhunderts.
Der Turm war bis 1888 bewohnt, danach begann er zu verfallen. Nur dem Protest einer Bürgerinitiative war es zu verdanken, dass er nicht abgerissen wurde. Der Umbau des Turms zum Wohngebäude durch Paul Hindemith 1923 sicherte seine Existenz nachhaltig. Nachdem Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg die beiden Dachgeschosse zerstört hatten, ließ die Stadt Frankfurt den Turm 1956–58 wiederherstellen. Im Jahr 2010 wurden unter Leitung des Hochbau- und des Kulturamtes am Kuhhirtenturm umfangreiche Sanierungs- und Umbaumaßnahmen vorgenommen.
Eindeutig nachvollziehen lassen sich die Umbauten, die 1923 unter Paul Hindemith vorgenommen wurden. Demnach wurde u.a. der Turminnenraum vollständig neu ausgestattet, unter Beibehaltung der ehemaligen Geschosshöhen und weitgehender Wiederverwendung der alten Deckenbalken. Zusätzlich wurde der westliche Teil des Erdgeschosses, ein ehemaliges Gefängnis, in zwei Geschosse unterteilt. Außerdem erhielt das Gebäude eine Mauer, die das Treppenhaus von den Wohnräumen trennt.
Ein besonderer Baubefund hat sich an der Westseite des Turmes erhalten. Im unteren Abschnitt der Westmauer lässt sich eine schmale Schießscharte erkennen. Aufgrund ihrer stilistisch sehr einfachen Ausführung dürfte sie ins 14. Jahrhundert zu datieren sein. Darüber hinaus fällt an den Eckquadern eine unterschiedliche Oberflächenbearbeitung auf. Zusammen mit weiteren Befunden lässt sich damit eine deutliche Zäsur im Baufortschnitt konstatieren. Im Gegensatz zur bisherigen Annahme war demnach mit dem Bau des Kuhhirtenturms bereits am Ende des 14. Jahrhunderts begonnen worden. Nach einer Bauunterbrechung auf einer Höhe von etwa 5,3 m wurde der Turm erst etwa 100 Jahre später, um 1490, mit einem Fachwerkaufbau und einem verschieferten Dach fertiggestellt.
Hindemiths Domizil 1923-27
Der talentierte Zeichner Hindemith hat sein originelles Frankfurter Domizil mehrfach gezeichnet. Die Silhouette des Turms und Grundrisse der Räume mit Plänen zu ihrer Einrichtung zeichnete er 1923 auf ein Heft mit Skizzen zur Klaviermusik für Orchester (Klavier: linke Hand) op. 29, einem Auftragswerk für den österreichichen Pianisten Paul Wittgenstein. Vom Honorar für diese Komposition konnte er den Umbau des Turms finanzieren.