[aus: «Sonate» für Klavier vierhändig, 2. Satz: Lebhaft]
Sonaten
Die im Sommer des Jahres 1935 entstandene Sonate in E für Geige und Klavier eröffnet eine erst im Jahre 1955 abgeschlossene Reihe von insgesamt 26 Sonaten für Bläser, Streicher, Klavier, Orgel und Harfe, von denen Hindemith bis zu seiner Abreise in die Staaten im Februar 1940 bereits 17 komponiert hat. Gegenüber seinem Verleger Willy Strecker gibt er im November 1939 einige seiner Beweggründe für die Komposition dieser Werke zu erkennen: «Du wirst Dich wundern, dass ich das ganze Blaszeug besonate. Ich hatte schon immer vor, eine ganze Serie dieser Stücke zu machen. Erstens gibt es ja nichts Vernünftiges für diese Instrumente, die paar klassischen Sachen ausgenommen, es ist also zwar nicht vom augenblicklichen Geschäftsstandpunkt, jedoch auf weitere Sicht verdienstlich, diese Literatur zu bereichern. Und zweitens habe ich, nachdem ich mich nun schon mal so ausgiebig für die Bläserei interessiere, große Lust an diesen Stücken, und schließlich dienen sie mir als technische Übung für den großen Schlag, der dann mit der ‹Harmonie der Welt› [...] hoffentlich im Frühjahr in Angriff genommen werden kann.»
Tatsächlich reflektieren die Sonaten die musiktheoretischen Erkenntnisse, die Hindemith bei seiner Arbeit an der Unterweisung im Tonsatz gewinnt. Der dreistimmige Satz, in dem alle Sonaten komponiert sind, ist Ausdruck seiner Überzeugung, dass ein Hörer maximal drei gleichzeitig erklingende Stimmen noch differenziert wahrnehmen kann. Außerdem ermöglicht erst Dreistimmigkeit die zweifelsfreie harmonische Zuordnung von Klängen. Andere in Hindemiths Musiktheorie entwickelte Grundsätze wie etwa die Bevorzugung von Sekundschritten in der Melodik werden ebenfalls in die Komposition mit einbezogen.
Erscheinen die Sonaten in ihrer Satztechnik als der Hindemithschen Musiktheorie entsprechend «standardisiert», so besitzen sie dennoch ihre unverwechselbare Gestalt. Jede der Sonaten wirkt wie ein musikalisches Porträt des Instrumentes, für das sie jeweils geschrieben ist. Individualität erhalten sie darüber hinaus auch aufgrund der Mannigfaltigkeit der Formen, die sich vor allem in den unkonventionellen Finalsätzen zeigt. Der Schlusssatz der eigentlich dreisätzigen Sonate für Flöte und Klavier wird durch einen Marsch erweitert, der als eigenständiger vierter Satz erscheint. Am Ende der zweisätzigen Sonate für Fagott und Klavier steht eine Folge von drei thematisch voneinander unabhängigen, charakterstückartigen Abschnitten. Mit einem kecken «kleinen Rondo» endet die viersätzige Sonate für Klarinette und Klavier.
Die umfangreiche Sonatenproduktion spiegelt Hindemiths persönliche Lebenssituation während der 1930er Jahre wider. Da ihm öffentliche Konzertauftritte kaum noch möglich sind, verlegt er sich gemeinsam mit seiner Frau auf das häusliche Musizieren, wofür die Sonaten eine willkommene Bereicherung bilden. Deshalb bittet er Willy Strecker im Dezember 1939: «Wenn Du von der Trompetensonate eine Photographie machen und mir das Manuskript schicken wolltest, wäre es mir lieb; das Stück ist in unseren täglichen Gebrauch übergegangen, deshalb vermisst man es ungern.» Mit Ausnahme der Harfe beherrscht Hindemith alle Instrumente.
Bei einigen der Sonaten lassen sich auch konkrete biographische Bezüge erkennen. Die Erste Sonate für Klavier, zu der nach Hindemiths eigenen Worten «das Gedicht ‹Der Main› von Friedrich Hölderlin die Anregung gab», ist Ausdruck der Liebe zu seiner Heimat, aus der er vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Anfeindungen vertrieben zu werden fürchtet. Die Trauer über den Beginn des Zweiten Weltkrieges artikuliert sich in dem als Choralbearbeitung konzipierten Trauermarsch über den Choral ‹Alle Menschen müssen sterben›, der die Sonate für Trompete und Klavier beschließt.