Kompositionslehrer
Vom Schuljahr 1941/42 an lehrt Hindemith an der Yale University in New Haven als «Professor of the Theory of Music», so sein offizieller Titel. In seine Kompetenz fallen Komposition und Musiktheorie, die er als zwei voneinander unabhängige Fächer lehrt. Seine Schüler sind bis zu 16 Stunden pro Woche mit ihm zusammen und nehmen an einem Unterricht teil, der fast schon Schulcharakter hat.
Dienstags und donnerstags sind von 9-13 Uhr seine Kompositionsschüler bei ihm. Dienstag nachmittags erteilt er den Theorieschülern von 15-17 Uhr Unterricht in «Traditional Harmony», den er oft bis in den Abend verlängert, um mit denjenigen weiterzuarbeiten, die in seine Kompositionsklasse eintreten wollen und ihm deshalb eigene Werke vorlegen. Samstags von 9-11 Uhr stehen «Basic Principles» auf dem Stundenplan. Hier bringt Hindemith den Studenten seine in der Unterweisung im Tonsatz entwickelten Überlegungen näher und unterrichtet sie im zwei- und dreistimmigen Satz. Von 11-13 Uhr lehrt er die Geschichte der Musiktheorie.
Die Schüler lernen in Hindemith einen bisweilen unerbittlichen Lehrer kennen. Louis Hemingway berichtet: «Zu Anfang hatte ich den Eindruck, dass er außergewöhnlich fordernd und peinlich genau war: dass die Komposition in dem ihm eigenen Stil erfolgen musste, oder er verlor das Interesse daran – etwa wenn man die Spur verließ und zu etwas kam, was ein wenig mehr der eigene Stil sein konnte. Anfangs war ich oft sehr frustriert. Im weiteren Verlauf des Schuljahres gab er uns dann, ohne mit uns darüber zu sprechen, mehr und mehr Freiheit, um in unsere eigene Richtung gehen zu können.»
Viele Schüler, vor allem die bereits fortgeschritteneren Kompositionsstudenten, sind auch unangenehm berührt davon, dass Hindemith darauf besteht, ihnen Grundzüge der Harmonie- und Kompositionslehre näherzubringen.
Hindemith will seine Kompositionsschüler dazu erziehen, den Kompositionsvorgang in drei festgelegten Schritten zu vollziehen:
Zunächst ist danach zu fragen, welchen Zweck die Komposition erfüllen soll, wer sie spielen soll und welche Instrumente dabei erforderlich sind. In einem nächsten Schritt werden die formale Anlage in Umrissen geplant und erste Überlegung zur Gestalt des musikalischen Materials angestellt. Dem Entwurf von Themen folgt als letzter Schritt das Ausarbeiten der Komposition.
Charakteristisch für Hindemiths eigenen Kompositionsvorgang ist seine Feststellung: «Ich beginne [beim Ausarbeiten der Komposition] nie mit dem Anfang; wenn ich meinen Plan habe, kann ich an jedem Abschnitt arbeiten – sogar eine Fuge in der Mitte beginnen.»
Aus Hindemiths Arbeit mit seinen Studenten erwachsen mehrere Lehrbücher: Der Unterricht in «Traditional Harmony» regt ihn bereits 1942 zur Abfassung des Buches ‹A Concentrated Course in Traditional Harmony› an. Später folgen ‹Elementary Training for Musicians› und ‹Exercises for Advanced Students›.