[aus: «Ludus tonalis», Very fast – Fuga nona in B]
[aus: «Symphonie in Es», 1. Satz: Sehr lebhaft]
Komponieren in der Kriegszeit
In der Kriegszeit, die das Musikleben auch in den Vereinigten Staaten politisch-propagandistisch prägte und die Musik der deutschen Emigranten an den Rand drängte, möchte Hindemith sich, wie er seiner Frau am 16. Februar 1940 schreibt, «mit zufriedenstellender Arbeit durch die Schauerlichkeiten der Zeitereignisse durchwinden». Während er einerseits wirkungsvolle, extrovertierte, formal stets originelle Werke für den Konzertsaal schreibt, komponiert er andererseits daneben ausgesprochen kunstvolle, schwierig zugängliche, komplexe Musik und sogar privat motivierte Werke, die zunächst auch nicht veröffentlicht werden.
Zur ersten Gruppe dieser Werke zählen das Cellokonzert (1940) und vor allem die Symphonie in Es (1940), ein imaginäres Portrait des von Hindemith hoch geschätzten Boston Symphony Orchestra, die ein brucknerisches Pathos ins Sportive wendet. Die Symphonic Metamorphosis of Themes by C.M. von Weber (1943), mit der Hindemith Musik von Weber in seiner Tonsprache nachkomponiert, ist als ein Werk brillianten orchestralen Konzertierens eine seiner erfolgreichsten Kompositionen überhaupt geblieben. Fremde Musik, einen Marsch Beethovens, verwendet Hindemith auch in der Symphonia Serena (1946).
Hingegen sind die Kammermusikwerke zumeist in strengsten Formen ausgearbeitet. Die Sonata for Two Pianos, Four Hands (1942) enthält einen als Doppelkanon angelegten langsamen Satz sowie eine Doppelfuge als Finale. Als Fuge ist auch der Schlusssatz des 6. String Quartet in E flat (1943) ausgeführt, in deren Verlauf zugleich die wichtigsten Themen der vorangehenden Sätze wie in einer thematischen Zusammenfassung aufgegriffen werden. Den Schlusssatz des 7. String Quartet in E flat (1945), das für das häusliche Musizieren geschrieben wurde, arbeitet Hindemith wieder weitgehend kanonisch durch; zudem laufen Musikteile im Krebs zurück.
Für dieses häusliche Musizieren schreibt Hindemith neben Duos in unterschiedlichen Besetzungen vor allem auch Klavierlieder auf deutsche (Eichendorff, Keller, Brentano, C.F. Meyer), französische (Rilke, Baudelaire, Mallarm) und englische (Shelley, Thompson, Moore, Whitman) Texte, darunter erstmals in der Weihnachtszeit 1940 Motetten auf die lateinischen Texte der Evangelien der Weihnachtszeit nach der früheren katholischen Gottesdienstordnung.
Auch seine Beschäftigung mit Alter Musik schlägt sich unmittelbar in seinen Kompositionen nieder. In der Sonate für Althorn und Klavier (1943) nutzt Hindemith das mittelalterliche Kompositionsprinzip der «Isorhythmie»; im Concerto for Piano and Orchestra (1945) schreibt er als Finale Variationen über den mittelalterlichen Tanz «Tre fontane», der in seiner originalen Form aber erst zum Schluss erklingt.
Die zentrale Komposition jener Zeit ist der Ludus tonalis (1942) für Klavier, eine Folge von 12 dreistimmigen Fugen, die alle nur denkbaren Fugenkünste wie in einem barocken «Kunstbuch» darstellen. Zwischen diese Fugen schiebt Hindemith charakterlich prägnante Interludien ein. Eröffnet wird das Werk von einem Präludium, das zugleich als Postludium das Werk beschließt, indem der Notentext um 180° gedreht wird. Hindemith empfindet die sehr mühevolle Komposition dieses äußerst kunstvollen Werkes als eine «moralische Eroberung,» die er von der musikalisch billigen, aber publikumsträchtigen Propaganda in amerikanischen und sowjetischen Symphonien der Kriegszeit abgesetzt sehen will. Er will, wie er bekennt, mit der Komposition dieses Werkes dem «noch nicht rettungslos Abgeglittenen» zeigen, was «Komposition ist», und rechnet mit einem Misserfolg. Hindemith irrt sich jedoch: schon nach drei Monaten ist die 1. Auflage des Werkes vergriffen.