[Paul Hindemith spricht über Angebote, nach Deutschland zurückzukehren, 1946]
Musikleben
Hindemiths Musik wird in Deutschland bereits unmittelbar nach dem Ende des Krieges wieder mit außergewöhnlich großem Erfolg aufgeführt. Der Komponist selbst steht dieser Entwicklung eher skeptisch gegenüber: «Ich finde, man übertreibt das Ganze, und das einzige Ergebnis wird eine heftige Gegenwelle sein», schreibt er Ende Dezember 1945 an Willy Strecker.
Bald werden in Deutschland auch die ersten Stimmen laut, die eine Rückkehr Hindemiths nach Deutschland und seine Hilfe beim Wiederaufbau des Kulturlebens wünschen. Solchen Bitten gegenüber verhält sich Hindemith zunächst abwartend, schließlich aber entschieden ablehnend. In einem Brief an Strecker nimmt er im Juli 1946 dazu Stellung: «Was sich da in den Briefen tut, ist einfach übel. Ich habe mich von jeher als musikalischer Privatmann gefühlt, und was ein Publikum mit der von mir gelieferten Musik anfängt, soll mein Privatleben nicht berühren, ebenso wie ich mit dieser Musik auch nicht das Privatleben anderer anrühren will. Nachgerade komme ich mir aber vor wie ein Eckstein, an dem jeder Vorübergehende das Wasser seiner künstlerischen Meinung abschlägt. Aber auch damit könnte man noch einverstanden sein, da schließlich Bekanntwerden und Erfolghaben solche Folgeerscheinungen zeitigen. Nicht einverstanden ist man aber, wenn selbst von den besten Freunden – und gerade von denen – alles in die Öffentlichkeit geschrien wird, was sie von einem wissen.
Es geschieht unter dem Deckmantel der ‹Förderung der Kunst›, der ‹Wiedergutmachung›, der ‹alten Anhänglichkeit›, und leider stellt sich selbst bei flüchtigem Hinsehen heraus, dass jeder damit nur für sich selbst das Beste aus der augenblicklichen Konjunktur herausholen will. Zum Überdruss kriegt man außerdem immer wieder erzählt, dass der und der das und das aufführt, stets mit der unverhohlenen Absicht, ihn herauszustreichen oder den Komponisten zu interessieren oder gar zu verpflichten. [...] Außerdem weiß jeder ganz genau, was ich zu tun habe! Es gibt nur die Forderungen des musikalischen Augenblicks in Deutschland!
Dass sich Horizonte verschieben, dass Herausgeschmissene nicht alle paar Jahre sich eine neue Existenz aufbauen können und wollen, und dass es noch andere Aufgaben geben könnte als Wiederaufbau eines zerschlagenen Musiklebens – so groß und faszinierend das auch sein mag! – und dass schließlich der, dem man Forderungen stellt, auch noch eine Meinung hat, die sich notwendigerweise auf eine sehr verschiedene physische und geistige Entwicklung stützt, das kommt keinem in den Sinn. Für sie alle ist man lediglich ein Spielstein, den sie mit aller Gewalt in ihrem Egoismus in die für sie beste Stellung zu schieben versuchen, um damit das Günstigste für sich herauszuschlagen. Und das alles mit der Berufung auf den künstlerischen Idealismus!
Ich soll den Idealismus haben, hier alles mühsam Errungene sofort aufzugeben, um drüben lediglich den persönlichen Schiebereien Anderer zum Vorteil zu verhelfen. Gott, wie hat man erwägt, drüben wieder anzufangen, wieviel Gedanken, Sorgfalt und Liebe hat man an die Möglichkeit gewendet, drüben wieder Ordnung schaffen zu helfen! Aber es zeigt sich mir allzu klar, dass einseitiger Idealismus nur von geringem Nutzen sein kann. Man muss einfach warten, bis die offenbar besonders hoch an mich heranschlagenden Wellen des künstlerischen Egoismus sich verlaufen und klareren Stimmen einer vernünftigeren Musikanschauung Platz machen.»