[Paul Hindemith spricht über Musik]
Stellung im Musikleben
Auf die Nachricht vom Tode Hindemiths reagiert Oskar Kokoschka in einem Brief an Gertrud Hindemith: «Mit wirklich tiefem Bedauern hörte ich gerade im Radio von dem großen Verlust, den Sie, gnädige Frau, und die geistige Weltgemeinschaft erlitten. Es tut mir um so mehr leid zu einer Zeit, die so zum Verzicht auf künstlerische Leistung entschlossen zu sein scheint wie die gegenwärtige, dass ein Künstler frühzeitig abgeht, der noch so viel zu sagen gehabt hätte.»
Es ist Hindemith als letztem deutschen Komponisten nach Richard Strauss nicht nur gelungen, durch sein alle Bereiche der Musik einschließendes Œuvre ein Musikleben zusammenzuhalten. Er hat vielmehr auch als einer der ganz wenigen zeitgenössischen Musiker weit in das allgemeine Kulturleben hinein wirken können und größte Achtung, Anerkennung und Wertschätzung gefunden, die ihm nur die musikalische Avantgarde um Theodor W. Adorno versagte.
Nahezu alle Komponisten seiner Generation in Italien, Frankreich, Deutschland, England, Schweden, den Vereinigten Staaten und der UdSSR haben sich in bestimmten Schaffensepochen an seiner Entwicklung orientiert. Zu allen namhaften Dirigenten der Epoche unterhielt er zum Teil enge Beziehungen, den besten Musikern seiner Zeit war er teilweise freundschaftlich verbunden. Sein Œuvre ist in einer Breite und Tiefe, die kein anderer Komponist im 20. Jahrhundert erreicht hat, fest im allgemeinen Musikleben verankert. In seiner letzten Zeit arbeitete er mit so unterschiedlichen Dichtern wie Paul Claudel, Thornton Wilder und Carl Zuckmayer zusammen; Zusammenarbeiten mit Dichtern wie Jean Cocteau, Jean Tardieu oder Eugène Ionesco waren geplant.
Er war ein hoch geachtetes Mitglied des «Ordens pour le mérite», dem 1963 Wissenschaftler und Künstler wie Wolfgang Schadewaldt, Lise Meitner, Otto Hahn, Werner Heisenberg oder Adolf Butenandt angehörten und vor dem er 1963 seine Polemik gegen die musikalische Avantgarde «Sterbende Gewässer» vortrug, die er dann aber nicht veröffentlichen wollte. Der Kanzler des Ordens, der Historiker Percy E. Schramm, erinnert sich daran: « [...] aber wir bleiben stolz darauf, dass Paul Hindemith zu uns gehörte und dass dies bei unserer letzten Tagung in seinem Bonner Vortrag so deutlich zum Ausdruck kam. Der beschwingte Ausdruck, mit der [er] [...] vom Rednerpult zu uns zurückkehrte, steht mir deutlich vor Augen. In seinem Gesicht spiegelte sich der Schalk: ‹nun habe ich es den anderen mal gegeben!›»
In einem Nachruf der Stuttgarter Zeitung auf Hindemith heißt es: «Hindemith ist nach Richard Strauss der international akkreditierte Repräsentant deutscher Gegenwartsmusik gewesen. Er war darüber hinaus eine Erscheinung von zunehmendem Seltenheitswert in unserer Zeit: nämlich eine Persönlichkeit hohen Ranges, deren innere Einheit sich kompromisslos gegenüber allen andersartigen Erwartungen, Ansprüchen und Zumutungen der wechselnden jeweiligen Kulturmodeströmungen behauptet hat. Hier war noch einmal, inmitten der schon beinahe unbeschränkt geltenden Tendenz zum künstlerischen Konformismus, jemand, dessen Wirken sich ganz aus dem eigenen Zentrum einer starken Individualität nährte.»