Vorträge und Kurse
Schon vor 1940 hatte Hindemith vereinzelt Vorträge gehalten, doch erst mit dem zweiteiligen Vortrag ‹Betrachtungen zur heutigen Musik› vom April 1940 an der Yale University präsentiert er sich als ein Musikgelehrter, der vor dem Hintergrund umfassender musikpraktischer und musikhistorischer Kenntnisse seine eigenen Ideen zu Komposition, Musiktheorie und Musikästhetik entwickelt.
Die meisten der Vorträge, die er von nun an in Amerika, ab 1948 auch in Europa hält, kreisen um die für den Komponisten relevanten «drei Grundfragen – was ist unser Material, wie deuten wir es, was tun wir damit», wie er sie 1948 im Vortrag ‹Probleme eines heutigen Komponisten› formuliert. Vor allem seine Vorträge in Europa versucht Hindemith dazu zu nutzen, seine eigene Position im Rahmen der aufflammenden Diskussionen um Neue Musik vorzustellen und zu verteidigen. Es ist ihm besonders daran gelegen, Einfluss auf die junge Musikergeneration zu gewinnen, die sich allerdings seit den frühen 50er Jahren immer deutlicher von seiner Musikauffassung distanziert.
Dennoch erwirbt er durch seine intensive Vortragstätigkeit ein hohes Ansehen, das sich in zahlreichen Lehrangeboten und schließlich in seiner Berufung an die Universität Zürich manifestiert. Hier hat er vom Herbst 1951 bis zum Sommer 1955 einen Lehrstuhl für Musiktheorie, Komposition und Musikpädagogik inne. Er hält Vorlesungen über ‹Grundfragen der Theorie und Komposition, Musiktheorie für Fortgeschrittene, Technik und Komposition, Theorien und Theoretiker, Bau und Füllung musikalischer Formen, Neueres und Neuestes in der Musiktheorie, Studium und Ausführung alter Chormusik, Kanon und Fuge› und ‹Neuzeitliche Stile und Techniken›. Einige der Vorlesungen werden durch praktische Übungen ergänzt.
Auch als Vortragsredner tritt er weiterhin auf; meist referiert er dabei über Themen aus seiner Schrift ‹A Composer's World. Horizons and Limitations›, die 1959 in erweiterter Form unter dem Titel ‹Komponist in seiner Welt. Weiten und Grenzen› in deutscher Sprache erscheint. 1956 verzichtet Hindemith auf sein Ordinariat und wird zum Honorarprofessor ernannt. In dieser Funktion hält er im Dezember 1957 an der Zürcher Universität noch einmal zwei jeweils dreiteilige Vorlesungsreihen mit den Themen ‹Carlo Gesualdos Madrigale (1560-1613)› und ‹Schönbergs Streichquartette›. Außerdem erteilt er ein dreistündiges Seminar ‹Grundzüge der Satztechnik›.
Von seinem Unterricht berichtet Hans Ludwig Schilling, einer seiner Zürcher Schüler: «Paul Hindemith ist ein pünktlicher Lehrer. Ich habe nie erlebt, dass er nach dem Klingelzeichen gekommen wäre, eher fünf oder zehn Minuten vorher; dafür gibt es auch keine ‹Überstunden›. Die Dialoge sind knapp, prägnant, überzeugend und stetig im Charakter eines schnellen Satzes. Hindemith gibt einen flüssigen Unterricht. Mit ungeahntem Schwung und Tempo stopft er Löcher: ein Diskussionsleiter par excellence. Da singt er selber die vokale Oberstimme im Fistelton, da werden Intervalle logarithmisch an die Tafel ‹gehext›, oder ein schlecht lesbares Schülermanuskript wird aus der Partition ‹ins› Klavier gespielt.»